Wie schon im vergangenen Jahr findet die Gamescom auch 2021 rein virtuell statt – und das tut ihr nicht gut. Bis zum 27. August werden große und kleinere Firmen ihre Spiele zeigen, die größtenteils noch im Laufe des Jahres erscheinen. Zur Eröffnung rief erneut der Spielejournalist Geoff Keighley zur Opening Night Live – einer zweistündigen Show, in der aus allen Videospiel-Rohren geschossen wurde.
Wie spielt sich das?!
Zum Beispiel in »Call of Duty: Vanguard«, das am 5. November erscheinen soll. Laura Bailey tritt auf die Bühne, sie ist Schauspielerin, spricht die Rolle von Polina, einer Scharfschützin. Sie spricht darüber, dass viele Frauen für die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg gekämpft haben, sich aufopferten und dann von der Geschichte beinahe vergessen wurden. Dann sehen wir Gameplay vom Spiel: Polina in Stalingrad, als es von den Deutschen eingekesselt wurde. Sie schleicht durch ein Haus, klettert an Wänden empor, balanciert auf Balustraden. Sie darf nicht auffallen, es wäre ihr Ende. Schließlich findet sie ein Scharfschützengewehr, legt es an. Schießt wieder und wieder zu dramatischer Musik. Wir lernen: Es ist halt ein »Call of Duty«. Es geht um Heldinnentaten, starke Menschen, Ruhm. Diesmal scheint Parcouring eine wichtige Spielmechanik zu sein, immerhin. Nicht erwähnt wird natürlich, dass in den vergangenen Wochen – wieder – viele Fälle von sexuellen Übergriffen und Machtmissbrauch bei Activision bekannt wurden, dem Unternehmen, das jedes Jahr ein neues »Call of Duty« veröffentlicht.
Immerhin bestand der Trailer aus Gameplay, ein rares Gut der ganzen Show. Es reihten sich Clips aneinander, die rasante Schnitte und kühne Kamerafahrten zeigten und sich kaum von Trailern für Action-Filme wie denen von Marvel unterschieden. Videospiele aber sollen nun einmal gespielt werden. Sie sind im besten Fall Erfahrungen, die Spieler machen und beeinflussen können. Diese Erfahrungen werden auf der Ebene des Gameplays gemach. Sprich: Entscheidend ist, wie sich das Spiel spielt, nicht, wie es aussieht. AAA-Spiele sehen sich immer ähnlicher, greifen auf die gleichen Stilmittel zurück, inszenieren ihre Helden und Schurken sehr ähnlich. Diese Trailer lösen den Verdacht auf Ideenarmut in den gigantischen Produktionen nicht gerade auf.
Wichtige Themen, wenig Zeit
Doch es gibt immerhin kurze Momente, in denen kleine Spiele, wichtige Themen, interessante Menschen eine Plattform bekommen. Ein Mann aus Polen etwa, der seit Jahren allein an seinem Indie-Spiel »Midnight Fight Express« arbeitet. Diesen Indie-Entwicklern hilft die Präsenz der AAA-Spiele. Sie sind die Magneten, die die Zuschauer anziehen – und damit ein Publikum auch für die kleineren Titel. Es kommen, ebenfalls für Sekunden, Menschen zu Wort, die etwas über Diversität sagen. Auch Accessibility wird angeschnitten. Mehr Menschen Zugang zu Videospielen zu gewähren, unabhängig davon, wie fähig ihre Körper sind – ein wichtiges Thema. Etwa zehn Sekunden räumte die Show ihm ein. Danach Werbung für Red Bull. Danach ein Spiel, in dem die Spieler einen Affen in einem Ball durch Hindernisse rollen.
An all diesen Spielen haben viele Menschen hart gearbeitet. Haben Ideen entwickelt, für deren Umsetzung sie sicherlich oft kämpfen mussten – und sie genauso oft nicht verwirklichen konnten, weil sie nicht gut genug vermarktbar waren. In der Games-Industrie arbeiten Entwickler und Entwicklerinnen, die mit viel Leidenschaft und Kreativität Spiele entwickeln, Kulturarbeit machen. Und es sind auch einige interessante Spiele gezeigt worden, die sicherlich, wenn sie erst gespielt werden, große Freude machen werden (siehe Bilderstrecke). Aber auf diesen Shows, Messen und Events geht es dann meist doch darum, in welchem Trailer es am lautesten Boom gemacht hat. Dazu passt dann auch die Ankündigung, dass es für »Halo Infinite« eine Special Edition der Xbox Series X geben wird – wieso also nicht direkt eine Zweite kaufen?
Preise für Spielhüllen
Schließlich erfährt man, dass »Mario + Rabbids: Sparks of Hope« das beste Switch-Spiel des Jahres ist und deshalb einen Gamescom-Award bekommt. Ein Spiel, das erst 2022 erscheinen wird. Zu sehen gab es davon bisher kaum etwas. Zum besten Playstation-Spiel wurde »Elden Ring« gekürt. Gespielt hat es noch niemand. Diese Auszeichnungen sind symptomatisch für die Show selbst. Hier werden die Hüllen von Games gezeigt und gepriesen. Sie mögen alle Substanz haben – aber darauf kommt es hier nicht an. Es geht ums Verkaufen. Das kann freilich gefallen, ist kurzweilig. Im besten Fall macht es Spiele bekannter, die sonst dieses Spotlight nicht bekommen würden.
Aber all diese Spiele werden nicht, wie sonst üblich, anspielbar sein. Eigentlich war die Gamescom immer eine Messe fürs Publikum. Hunderttausende Spielerinnen und Spieler konnten Games ausprobieren und sich dann bestenfalls zu Weihnachten wünschen. Aber pandemiebedingt ist die diesjährige Trailer-Abfolge kein Aperitif, um dann den Controller in die Hand zu nehmen und es selbst auszuprobieren. Sie ist ein Feuerwerk, von dem am Ende nur das Klingeln in den Ohren bleibt. Mit anderen Worten: Es war eine ganz solide Videospiel-Show.
Gamescom Opening Night Live: Wettbewerb um den größten Lärm - DER SPIEGEL
Read More
No comments:
Post a Comment