Kurz hält man den Atem an, als Ico die Hand ausstreckt, Yorda ihren Mut zusammennimmt, und über einen tiefen Abgrund springt. Sie schafft es knapp, hält sich an der ausgestreckten Hand fest. Die beiden vertrauen sich, obwohl sie sich gerade erst getroffen haben. Sie wollen aus einer Festung im Meer fliehen, in der sie beide gefangen waren. Und erleben eines der schönsten Abenteuer, die es für eine Spielekonsole gibt. Immer noch, zwanzig Jahre nach Erscheinen des Spiels.
»Ico« wurde für die Playstation 2 entwickelt, kam knapp ein Jahr nach dem Erscheinen der damals revolutionär neuen Konsole auf den Markt. Entwickelt wurde das Spiel von Fumito Ueda, einem bis dahin unbekannten Entwickler in dem japanischen Studio von Sony. »Ico« war ein Wagnis, weil es sich den üblichen Konventionen von Videospielen entgegenstellt. Es ist nicht laut und bunt, sondern leise und intensiv, erzeugte Emotionen, die man aus Spielen bis dahin nicht kannte. Es war das erste von drei Spielen, die Fumito Ueda für Sony gemacht hatte. Mit »Shadow of the Colossus« und »Last Guardian« setzte er »Ico« stilistisch fort und wurde zum Kritikerliebling.
»Ico« wurde mit Preisen überhäuft, in Museen gezeigt. Es wird immer wieder hervorgeholt, wenn es um die müßigen Diskussionen geht, ob Videospiele nun Kunst sind oder nicht. Und »Ico« hat eine Generation von Spieledesignern beeinflusst und beeindruckt. Ob »Half Life 2«, »Brothers«, »Uncharted« oder »Prince of Persia: Sands of Time«, ob »Papo&Yo«, »Flower« oder »Journey«: In jedem dieser und unzähliger weiterer Spiele, gerade im Indie-Bereich, finden sich Spuren von »Ico«. Sei es in der Grafik, die wenig leuchtende Farben zeigt, sei es im reduzierten Gameplay, sei es die Art und Weise, wie zwei Spielfiguren miteinander agieren. Was inzwischen von vielen Spielen versucht wird, war damals einzigartig. Eines aber war »Ico« nicht: kommerziell erfolgreich.
Die Magie muss hart erarbeitet werden
Wenn man es heute wieder spielt – hier die Remaster-Version für Playstation 3 –, merkt man schnell, woran das gelegen haben kann. »Ico« erfordert Geduld. Die Bewegungen des Jungen Ico sind manchmal schwer zu verstehen, die Kämpfe mühsam und letztlich etwas eindimensional. Rätsel sind in großen Räumen verteilt, die man oft mehrere Male durchqueren muss. Das macht zum einen die Magie des Spiels aus, andererseits muss diese Magie aber auch hart erarbeitet werden. Mit Geduld, mit Ruhe.
Am Anfang weiß man noch gar nichts, man muss zuhören, nachdenken, die Geschichte wirken lassen. Ico wird da in eine Inselfestung gebracht. Hoch über das Wasser ragt sie auf, verschachtelt, voller Treppen, Türen und Fallen. Er wird in einen Raum gebracht und eingesperrt – geopfert, weil ihm Hörner gewachsen sind und sein Dorf ihn ausstößt. Im selben Raum ist Yorda gefangen, ein junges Mädchen, von deren Schicksal man erst sehr viel später erfährt. Sie ist ein zartes Wesen, weißlich, fast durchscheinend. So zerbrechlich, dass man ihr sofort helfen möchte. So wie Ico auch. Der ist zwar einen Kopf kleiner, aber wild entschlossen sie – und sich – zu retten.
Eine der ersten Spielfiguren, um die man sich sorgte
Daraus entsteht fast ohne Sprache eine innige Beziehung. Yorda war eine der ersten Spielfiguren, um die man sich sorgte, die man einfach schützen wollte vor dem Bösen, für die man kämpfte. Ico hat all das ausgedrückt in seinen Gesten, seinem Kampf. Er nimmt Yorda an die Hand, führt sie – oder besser gesagt: zerrt sie – durch die Festung, macht ihr Wege frei, öffnet Türen und kämpft gegen die schwarznebligen Feinde, die Yorda in dunkle Löcher ziehen möchten. Verbissen, fast verzweifelt haut er immer wieder mit einem Knüppel auf die Gegner, roh und wütend. Genauso geht es den Spielern. Der Kampf hat keine Finesse, keine besonderen Tricks. Man möchte die Gegner loswerden, egal wie. Sie sollen einfach nur verschwinden.
Danach kann man endlich wieder Wege finden, Kräne bedienen, Loren fahren oder Brücken zum Einsturz bringen. Yorda an die Hand nehmen und führen, die vertrackte Festung bewundern. Mal sieht man sie im grellen Sonnenschein, manchmal durchläuft man ihre düsteren Gewölbe. Und immer wieder genießt man die wunderbaren Aussichten, die Landschaft. Lauscht dem Meeresrauschen in der Ferne, den wenigen Geräuschen in der Welt von »Ico«. Setzt sich gemeinsam mit Yorda auf eine Steinbank, um den Fortschritt zu speichern und zu rasten. Und stellt fest: Noch immer ist »Ico« ein einzigartiges, wunderbares, leicht störrisches Spiel. Minimalistisch, ruhig, emotional und auch nach zwanzig Jahren noch ein Meisterwerk.
»Ico« von Sony Japan, für Playstation 2, als Remaster für Playstation 3, 2011 neu aufgelegt und heute z.B. über Playstation Now spielbar.
Klassiker »Ico« wird 20 Jahre alt: Dieses Abenteuer hat Videospielgeschichte geschrieben - DER SPIEGEL
Read More
No comments:
Post a Comment